Gleich zu Beginn: Nein, schizophren bin ich nicht. Und nein, ich bin auch nicht die Frau auf dem Bild. Ich bin ein (junger) Mann und fand das Bild einfach aussagekräftig und passend.
Meine Therapeutin regte diese Idee eines „Experiments“ an, damit ich besser in eine Beobachterrolle meiner eigenen Abläufe komme. Nun gut, ich präsentiere hier sozusagen exklusiv den ersten Versuch.
Bei diesen Gesprächen kommuniziere ich als „Geist“, also praktisch als Überkategorie von allem, was in meinem Kopf so vor sich geht, mit meinen Gefühlen.
Situation: Aus dem Bett kommen.
Die Freude wagt sich überraschenderweise als erste vor: „Na Geist, wie sieht es aus? Was machen wir heute?“
Geist: „Puuuh. Bist du dir sicher, Freude? Hat ja die letzten Male nicht so funktioniert.“
Traurigkeit: „Da hat er recht. Lasst uns doch einfach liegen bleiben. Hier ist es warm, bequem und sicher. Draußen wartet nur die feindliche Welt.“
Freude: „Kommt schon, Leute. Geben wir dem Ganzen doch eine Chance. Carpe diem!“
Traurigkeit: „Ich würde lachen, wenn ich nicht so traurig wäre. Lass es doch einfach bleiben, auf dich hört hier eh niemand mehr, du Null.“
Freude: „Was erdreistest du dich? Du bist hier nicht alleine, du traurige Gestalt.“
Geist: „Ruhe bitte, ich versuche hier zu schlafen.“
Scham: „Wenn wir heute wieder nicht aufstehen, werde ich wohl ein paar Hebel in Bewegung setzen müssen, lieber Geist.“
Geist: „Nicht du auch noch. Du setzt doch deine dämlichen Hebel eh in Bewegung wann du willst. Tu, was du nicht lassen kannst.“
Scham: „Dann werde ich diesmal wohl mehr Feuerkraft aufbieten müssen. Du wirst schon sehen!“
Geist: „Scheisse, bist du nervig. Wenn das so weitergeht, rufe ich die Leere, dann ist hier endgültig Ruhe im Karton.“
Freude: „Bloß nicht!“
Traurigkeit: „Bloß nicht!“
Scham: „Das wagst du ni…“
*Stille*
Geist: „Leute?“
Leere: „Halo i bims, di Lehre“ (Entschuldigt die dämliche neue Jugendsprache, die Versuchung war zu groß. Übersetzung: „Hallo ich bin’s, die Leere“)
Geist: „Okay, Leere, es ist ruhig. Danke. Du kannst jetzt wieder gehen.
Leere: „Ich denk nicht dran. Du hast jetzt auch erstmal Sendepause. Jetzt herrscht hier das grenzenlose Nichts!
*Lähmende Stille*
Mag ich. Mag ich sogar sehr. Und musste tatsächlich lachen, weil ich mir nun vorstelle, wie meine eigene Leere bei zu wenig Beachtung in Pseudodeutsch verfällt (wäre ja auch etwas übertrieben, von geistiger Leere sprachliche Fülle zu erwarten…).
Und ganz allgemein: starke Worte, die du hier teilst. Nicht immer schön, aber, wie es scheint, immer authentisch – was formale Schönheit bei weitem übertrifft. Falls du nichts dagegen hast, komme ich gerne wieder. Stunde null hat mich neugierig gemacht auf die darauffolgenden Minuten.
Ich wünsch dir noch ganz viele Lichtungen.
Alles Liebe
Elín
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Liebe Elín,
Vielen Dank! Ich freue mich, dass es so gut bei dir ankommt.
Natürlich kannst du gerne wieder kommen. Der Austausch mit anderen Menschen ist am Ende immer noch das beste, was wir machen können.
Mit besten Grüßen
Tanne
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Gerne. Ich mag Echtheit, in Worten und in Menschen (und eine Prise Saraksmus ist auch nicht zu verachten;)). Ich komme bestimmt wieder.
Austausch ist wirklich was Wertvolles. Umso mehr, wenn dabei der eigene Gedankenhorizont erweitert wird.
Bis bald dann. Halt die Nadeln steif.
Alles Liebe
Elín
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Wenn mensch verlernt über sich selbst zu lachen ist wohl alles verloren.
Wir lesen voneinander!
Tanne
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Dieser Text ist in mich hineingeflossen, hat sich in mir ausgebreitet und mich in eine andere Gefühlswelt versetzt. Danke dafür, auch wenn diese Gefühlswelt nicht einfach zu ertragen war. Aber sie hat mich etwas gelehrt (geleert?). Darüber denke ich jetzt nach. Und ich bin dankbar für jeden Denkanstoß.
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Wow. Das ist ein Kompliment, wie ich es mir besser nicht wünschen könnte. Schön, dass ich dich zum nachdenken anregen konnte!
Gruße
Tanne
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Wenn die Gefühle nicht einfach reden sondern zum Geist sprechen und ihn dazu bewegen, mit den Gefühlen zu kommunizieren sieht man sich wahrlich selbst in seiner Tiefe.
Ich bin sehr berührt…
Meine Stille spricht: „Hörst Du meinen wundervollen Klang?“
So schenkt sie mir Freude, welche sich dazugesellt und den Klang der Stille weitet. Und in dieser Stille ruht eine unerschöpfliche Kraft, die ihre eigene Sprache hat und mir zeigt: Ja, das alles bist Du…
Ich freue mich über Deine Anregungen – danke!
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Ein sehr anregender Kommentar. Schön formuliert!
Vielen Dank!
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Hallo 🙂
Sein eigener Beobachter sein und die Gefühle und Emotionen einfach sein lassen ohne sie verändern zu wollen, ist der beste Weg Gleichgewicht und Harmonie in Sich herzustellen 🙂
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Aus der Leere eine Lehre gezogen.Was will Mann mehr.
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Interessante Herangehensweise:)
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