Kurz zur Einführung: Ich bin in einer Klapse in stationärer Behandlung. Immerhin eine offene Station, von der aus ich zu Fuß nachhause laufen kann. Fast jedes Mal, wenn ich von der Klapse komme oder auf dem Weg zu ihr bin, begegnet mir auf dem Bürgersteig der Einbahnstraße in der ich wohne ein Mann mit Gehhilfe, der offenbar irgendwo in der Nachbarschaft wohnt. Ich kenne ihn nicht persönlich, nur vom sehen. Wir grüßen uns nett, das war es bisher an Kommunikation mit ihm.
Trotzdem ist dieser Mann ein Vorbild für mich, von dem ich mir gerne etwas abschauen würde. Er ist noch nicht so alt, ich schätze mal Mitte 50. Er scheint also an einer Krankheit zu leiden, wie sich auch durch das Aussehen der Beine vermuten lässt.
Jeden Tag läuft er mit seiner Gehhilfe die Einbahnstraße rauf und dann wieder runter. Dafür braucht er mehrere Stunden – für etwa 400 Meter. Er kann sich nur mit langsamen, extrem kleinen Schritten fortbewegen.
Dieser Mann ist jeden Tag aufs neue eine Art Held für mich. Sich seinem Schicksal nicht einfach so zu ergeben, obwohl es ein so schweres ist und alle es verstehen würden, das verdient allerhöchsten Respekt. Zudem grüßt er mich immer freundlich!
Ich weiß nicht, ob ich ihn ansprechen soll. Mich würde es auch nerven, wenn wir Depressionen sehen könnten und mich fremde Leute darauf ansprechen. Meine stille Bewunderung hat er auf jeden Fall sicher. Vielleicht wünscht er sich trotz seiner offensichtlichen mentalen Stärke gesunde Beine. Ich hingegen würde mir etwas seiner mentalen Robustheit wünschen.
Ich komme zu dem Schluss, dass alle Menschen ihre Probleme zu jeder Zeit, bewusst oder unbewusst, mit sich herum tragen. Sie können sichtbar oder für andere unsichtbar sein, das macht sie nicht mehr oder weniger schlimm. Für mich ist der fremde Mann mit der Gehhilfe deshalb wieder einmal der Held des Tages. Er hat seine Situation für sich akzeptiert und macht das beste daraus. Mit Sicherheit ist es für ihn immer aufs Neue ein schwerer Kampf, trotzdem kämpft er ihn tapfer – und siegt. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, weiß ich, dass er wieder gesiegt hat und das gibt auch mir ein besseres Gefühl für meine noch kommenden Kämpfe.
Ich habe Lichtungen versprochen, hier habe ich euch eine gezeigt!
Von der Lichtung aus dem Nadelwald
Tanne
Eine sehr schöne Lichtung 🙂 Ich glaube das wir von jedem Menschen um uns herum lernen können. Toller Beitrag
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Das denke ich auch!
Danke!
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Ich kann mich nur anschließen, sehr gelungener Text. Und vielleicht würde er sich ja freuen, wenn du ihn mal ansprichst 🙂
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Das ist die Frage.. eines Tages vielleicht!
Danke!
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👍👍👍👍
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Ich danke!
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Und ich glaub der Herr würde sich bestimmt freuen wenn du ihn ansprichst weil er dann merkt ah der glotzt nicht nur
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Ich hoffe, dass ich es irgendwann herausfinden werde..
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Ganz bestimmt
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Ein sehr schöner Text. Ich habe heute auch einen sehbehinderten Mann gesehen, der sich nur schwer mit seinem Stock vorantasten konnte. Ich habe sehr viel Respekt vor diesen Menschen.
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Danke!
Wir alle können uns von der geistigen Stärke dieser Menschen eine Scheibe abschneiden.
Gruß
Tanne
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Vielen Dank für den schönen Text😊 Ich finde es bemerkenswert , dass Du so offen über Deine Gedanken und Gefühle schreibst. Bewahre Dir das, es ist wertvoll!
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Danke für deinen netten Kommentar!
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So einen Mann kenne ich auch.
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Trotz ihres Leids sind diese Menschen durch ihren beispielhaften Willen eine ungemeine Hilfe für eigene Probleme.
Soziales Wesen Mensch!
Gruß
Tanne
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Hat dies auf Spartakus die Zukunft liegt in unseren Händen rebloggt.
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Ein guter Ort für einen ersten Kommentar. (Vielen Dank für deinen Folge-Klick, ausserdem.)
Dazu habe ich etwas aus eigener Erfahrung zu erzählen. Vor einigen Jahren wohnt ich an einer Strasse, die u.a. zu einer Behinderteneinrichtung führte. Da kamen alle möglichen Menschen vorbei, denen man deutlich ansah, wohin sie morgens gingen, und woher sie am Nachmittag kamen, denn ihre Behinderungen waren überdeutlich zu sehen: all die Spasmen während des Gehens der einen, die aussergewöhnlichen Körperproportionen von andren, eigenwillige Bewegungen, Glasbausteinbrillen und Zahnschienen statt richtiger Prothesen und vieles mehr. Wir sahen uns täglich und weil das so war, grüssten wir uns bald. Ich weiss nicht mehr, wer angefangen hat – mal so, mal so, denke ich. Einige von ihnen traf ich über zehn Jahre, bei manchen sah ich grosse Fortschritte, , bei andren nur die immer gleiche Freude, wahrgenommen, angesehen und wiedererkannt zu werden. Das ist, glaube ich, das Wichtigste, für uns alle.
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Auch ein schönes Beispiel.
Danke für’s teilen!
Du hast auf jeden Fall recht. Am Ende brauchen alle Menschen irgendeine Art von sozialer Anerkennung. Egal wie sie gestellt sind und was sie besitzen.
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Ein zutiefst menschlicher Beitrag, den ich mit einem sehr guten Gefühl gelesen habe. Manchmal denke ich, dass Menschen, die an Depressionen leiden oder litten, auf jeden Fall genau wahrnehmen. Das mag ich.
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Das mag oft sogar stimmen. Depressiv Veranlagte besitzen häufig sehr sehr viel Empathie. Ist nicht immer so gesund und kann unterschiedlich wirken..
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Da hast du recht. Es ist nicht immer leicht einen gesunden Mittelweg zu finden zwischen Mitgefühl für andere und einem gesunden Egoismus. Jedenfalls mag ich deine fein differenzierte Betrachtungsweise.
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Ich bedanke mich!
So, ich versuche jetzt mal etwas Freude zu tanken.
Besten Gruß
Tanne
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Hallo Tanne,
vielen Dank dafür, dass Du Deine Fährte auf meinem Blog hinterlassen hast.
Hab noch nicht alle Texte von Dir gelesen – werde es aber noch tun.
Vorerst möchte ich Dir gerade bei DIESEM Text sagen, dass ich es ganz, ganz toll finde, was Du tust – zumal Du sowieso sehr gut schreibst!
Ich weiß aus eigenen Erfahrungen genau, was Du meinst.
Hättest Du was dagegen, wenn ich „Der Mann mit der Gehhilfe“ in einer Runde vorlesen lasse?
Man kann sehr viel daraus lernen – in dieser Runde brauchen das auch einige.
Du kannst mir – wenn Du möchtest – auch über Mail antworten. Die Mailadresse erscheint wahrscheinlich für Dich sichtbar, mit diesem Kommentar. Würde mich freuen!
Alles Liebe,
Michael
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Hallo Michael,
vielen Dank erstmal für den Kommentar!
Natürlich habe ich nichts dagegen. Im Gegenteil, ich freue mich sehr darüber, wenn der Text anderen Leuten etwas bringen könnte. Eine sehr schöne Vorstellung.
Da ich gerade über das Handy antworte, ist die Kommentarfunktion grad praktischer.
Noch einmal vielen lieben Dank!
Gruß
Tanne
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Ich danke DIR !
Michael
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Bei uns lebt das weibliche Pendant zu dem Herrn mit der Gehhilfe. Sie braucht 5 Min. um über den Zebrastreifen zu kommen. Oft gibt es wegen ihr einen Stau im Kreisverkehr. Sie geht jeden Tag zwei bis drei Kilometer und braucht dafür den ganzen Tag. Aber sie gibt nie auf. Nur wenn es zu spät wird, steigt sie in den Bus. Der hat dann garantiert Verspätung.
Ich bewundere sie schon lange, aber sie möchte nicht einmal gegrüßt werden. Sie konzentriert sich nur auf das Vorankommen.
Wie schön wäre es wohl zu wissen, dass sie mit ihrem Problem nicht allein ist?
Ich hätte nie daran gedacht, über sie zu schreiben. Danke, dass du es im Pendant dazu getan hast.
Und herzlichen Dank fürs Folgen 🙂
Herzliche Grüße
Beate
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Ich denke viele Leute kennen solche Menschen. Sie sind die Vorbilder, die uns in schweren Zeiten unbewusst helfen können.
Ich habe zu danken!
Auf bald
Tanne
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Nicht aufgeben, es immer wieder von Neuem versuchen … denn jeder noch so millimeterkleine Schritt ( sowohl buchstäblich als auch aus geistiger Dunkelheit, Sucht, Krankheit oder Depression) bringt jeden vorwärts.
Vielleicht nur ganz, ganz langsam, aber dennoch stetig.
Und Stolz auf sich selbst gibts noch dazu.
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Danke!
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wunderbarer text, danke dafür!
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Danke dir!
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keep on…
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