Der Tag von Potsdam (21. März 1933) war einer der letzten großen öffentlichen Anlässe, an denen sich die Nazis, besonders natürlich Hitler, einen billigen bürgerlichen Anstrich geben wollten. Hitler selbst erschien nicht in Uniform, sondern ganz demütig in einem schlichten Anzug, um sich demonstrativ als Mann des Volkes vor den hochdekorierten, pickelhaubigen Feldherrn und wenig demokratisch gesinnten Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zu stellen. Jener Hindenburg, der in seiner Funktion als Staatsoberhaupt der jungen Weimarer Republik die Absichten und Möglichkeiten der NSDAP fatal unterschätzt hatte und so dem Faschismus in Deutschland die Türe zum politischen Machtzentrum weit aufstieß. Die Folgen seiner Naivität konnten ihn persönlich kaum plagen, schließlich verstarb er schon im August 1934. Ganze Generationen wurden jedoch durch die folgenreiche Fehleinschätzung seinerseits und seiner Regierung, namentlich zum Beispiel Franz von Papen, welcher sich im Nachgang bei den Nürnberger Prozessen verantworten musste, in das größte Verderben der Menschheitsgeschichte gestürzt.

Nun aber zu den gestrigen Ereignissen in Erfurt. Wir haben ein denkbar knappes Ergebnis gesehen, mit dem niemand wirklich gerechnet hatte. So ganz begreife ich immer noch nicht, dass sich eine Partei, die gerade so mit 73 Wählerstimmen über der 5%-Hürde lag und so überhaupt erst in das Parlament einziehen konnte, von Faschisten in die offenbar nicht vom Wähler gewollte Regierungsverantwortung hieven lässt. Wenn eine Koalition gebildet werden kann, wird die Regierung auf Stimmen der AfD angewiesen sein, um überhaupt irgendetwas durch den Landtag zu bekommen. Damit wird die AfD zum ersten Mal ein wirklich relevanter Player in einem Parlament und hat jetzt ihr lang ersehntes Einfallstor. Ein erster Tabubruch. Naja, lieber durch und mit Faschisten regieren, als gar nicht regieren, nicht wahr, Herr Lindner? Eben noch der Befreiung von Ausschwitz gedacht und eine Woche später den potenziellen Tätern von morgen den Weg in die Machtpolitik bereitet.

Vielleicht werden wir uns in einigen Jahren an diesen Tag erinnern. An jenen Tag, der als machtpolitischer Dosenöffner für eine Partei diente, die immer schamloser in ihrer Methodik wird. Schamlos, aber auch gewieft, was noch mehr Sorgen bereiten sollte. Okay, die Finte, einen eigenen „Kandidaten“ aufzustellen, hätte man sofort durchschauen können. Vielleicht hat man es (Anm. d. Red.: Danke CDU!) auch getan und trotzdem in Kauf genommen, einen Ministerpräsidenten von alternativen Gnaden zu bekommen. Das wäre umso bedenklicher. Wir haben hier also zwei Optionen. Einerseits eine völlig plumpe Über- oder in diesem Fall eher Untertölpelung durch eine Partei, bei der ein verwirrter Fliegenschissgreis mit Jagdhundkrawatte nicht nur öffentlich von Exkrementen lästiger Fluginsekten fabulieren darf, sondern auch noch eine führende Rolle in diesem Haufen übernimmt. Andererseits war dieses Ergebnis das, zugegeben, vermutlich kaum berechenbare Kalkül der sogenannten bürgerlichen „Mitte“, bestehend aus der FDP und der nicht ganz christlichen, dafür aber gelegentlich demokratischen Union. Wahrscheinlich ist es wie so oft eine Mischung aus allen verfügbaren Möglichkeiten. Dieser konservativ-liberale Cocktail macht aber leider nicht besoffen, dafür wird der Kater umso härter sein. Irgendjemand muss da echt üblen braunen Rum reingekippt haben, widerlich.

In den nächsten Jahren, so scheint es, wird verbotenerweise rechts überholt. Ein Rennen, welches bereits benannte Parteien sicher gerne annehmen, bis sie merken, dass ihnen ein paar Faschostärken fehlen, um mithalten zu können. Im Dunst der fuck-you-Greta-Abgase wird ihnen dann vielleicht doch noch klar, dass es vielleicht anderer Herangehensweisen bedurft hätte. Wir durften gestern erleben, dass es zu politischen Zwecken wieder salonfähig wird, Faschostimmen zur Mehrheitsbeschaffung zu verwenden. Dadurch geht man eine fatale win-win Situation mit der AfD ein, welche für unsere „bürgerlichen“ Parteien nur mittelfristig funktional sein wird. Für die Partei, in deren Kürzel übrigens drei der nur fünf Buchstaben des Namens Adolf enthalten sind (Zufall? Ich glaube nicht!), aber langfristig hilfreich sein wird. Schon Hindenburg hatte ja mit seiner Regierung versucht, die Nazis als Mittel zum Zweck einzusetzen. Ziel war es offenbar, die NSDAP durch Regierungsbeteiligung für die Öffentlichkeit unmöglich zu machen und sie so langsam zugrunde zu richten. Wie kommt man auf so eine Idee? Einmal im System eingespeist, lassen sich faschistoide Viren nur mit extremen Gegenmitteln wieder entfernen, das sollte eine der vielen Lehren aus dieser Zeit sein. Der im Bild sichtbare Handschlag des neuen MP mit Höcke, welcher immerhin für dieses Meme sorgte, ist ein weiteres Indiz dafür, dass jetzt schnell ein ganz klarer Schnitt erfolgen muss. Am besten hätte Kemmerich die Wahl sofort abgelehnt, um klare Kante zu zeigen. Natürlich lässt sich die heutige Zeit mit der damaligen nicht zu hundert Prozent sinnvoll vergleichen. Wir haben aber auch erst 2020, bis 2033 ist es also noch ein bisschen hin.

Was passiert eigentlich, wenn bei der Union Leute an das Ruder kommen, die eine deutlich rechtsoffenere Haltung an den Tag legen? Bedenket, aus welchem Lager Gauland stammt. Vor wenigen Jahren noch wurde dieser von der Jungen Union für seine Standpunkte gefeiert. Sehen wir dann vielleicht nach der übernächsten Bundestagswahl einen Minister Meuthen? Oder angenommen, wir werden wieder von einem Börsencrash oder einer beliebigen anderen schweren Krisensituation getroffen, welche das Leben in Deutschland deutlich unangenehmer macht. Es dürfte klar sein, wer dann mit den einfachsten Antworten aufwarten kann und dem wütenden Mob ein paar arme Sündenböcke vorwirft, während die wahren Schuldigen im Hintergrund und Umfeld der Partei agieren. Gesponsert von diversen Personen und Gruppen, die sich von einer AfD in Regierungsverantwortung eine völlige Entfesselung der Märkte von jeder Form der Regulation versprechen. Und diese würde kommen, so viel steht fest. Die AfD ist im programmatischen Kern so wenig alternativ wie ein Igel mit Stacheln. Ihre rasante Rechtsradikalisierung und stetigen Machtzuwächse sollten uns allen aber gehörig Angst machen.

Ich möchte eigentlich nur ungern ein vergleichbares Bild in 13 Jahren sehen, mit Höcke in der Funktion des Bundeskanzlers. Wir hatten schon der Schwarzhemd-Faschismus in Italien und den Braunhemd-Faschismus in Deutschland. Die Italiener und die Deutschen sollten also eigentlich erstmal raus aus der Nummer sein. Außerdem ist blau eher die Farbe der Amerikaner und die passen mit ihren dicken Bäuchen sowieso in kein Hemd mehr. Also lasst uns alle wachsamer und aktiver werden, um den Aufstieg der AfD wirksam zu unterbinden.

 

Update: Wie ihr mittlerweile sicher wisst, will Kemmerich das Parlament auflösen, um Neuwahlen zu bezwecken. Der Schaden ist jedoch nicht mehr zu reparieren, da er (noch) nicht formaler, sondern symbolischer Natur war und ist. Der Rubikon wurde überschritten, man kann nicht einfach so wieder zurück an das sichere Ufer schwimmen, wenn man von einer Strömung erfasst wird.

Pfui FDP! Lindner zeigt mal wieder, wie wendig er in politisch streitbaren Fragen sein kann. Erstmal den Shitstorm abwarten und die Berateragentur in einer Krisensitzung zur Außenwirkung befragen, bevor man über Haltungen nachdenkt. Das Vertrauen in die Politik wurde weiter irreparabel beschädigt, heute dann zusätzlich auch auf Bundesebene. Der Riss durch die Gesellschaft wird durch dieses Theater beträchtlich vergrößert.

Wir dürfen gespannt auf weitere Entwicklungen sein.